Eheschließung und Steuerfreiheit
Litauen erkennt Neuheiden offiziell als Religionsgemeinschaft an
Als wäre die Welt mit ihren vielen offiziellen Religionen und damit verbundennen Auswüchsen menschlicher Schwächen nicht schon genug gestraft, reiht sich in Litauen eine neue offiziell anerkannte Religion dazu; – salopp formuliert.
Die Neuheiden, auch Neopaganisten genannt, der altbaltischen Naturreligion Romuva, haben vom litauischen Parlament ein Weihnachtsgeschenk bekommen.
Der litauische Seimas hat die staatliche Anerkennung der religiösen Gemeinschaft Romuva beschlossen. Mit 64 Ja-Stimmen, 8 Gegenstimmen und 10 Enthaltungen erhielt Romuva damit den offiziellen Status als Religionsgemeinschaft. Das berichtet das litauische Nachrichtenportal LRT.
Heidnische Eheschließung
Die Anerkennung bringt weitreichende Privilegien mit sich: Romuva wird von der Grundsteuer befreit, ihre Priester genießen soziale Absicherung, und Ehen, die nach ihren Riten geschlossen werden, sind künftig rechtlich gleichwertig mit standesamtlichen Trauungen.
Die Entscheidung des Parlaments folgt einem langen Rechtsstreit. Bereits Anfang des Jahres wandte sich Romuva zum zweiten Mal an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), um auf das bisherige Versäumnis des Seimas aufmerksam zu machen. Der EGMR hatte 2021 geurteilt, dass die frühere Verweigerung der Anerkennung durch das Parlament gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstieß.
Was ist Romuva?
Romuva ist eine neopaganistische Bewegung aus Litauen. Die Gemeinschaft beruft sich auf Glauben, Mythen und Traditionen, die vor der Christianisierung des Landes im 14. Jahrhundert gelebt wurden.
Litauen, einst als Großfürstentum der letzte heidnische Staat Europas, sieht in dieser Geschichte eine Quelle nationalen Stolzes – eine Sichtweise, die weit über die Anhänger von Romuva hinaus Anklang findet.
Für Romuva fungiert diese historische Erzählung als Gründungsmythos. Die Bewegung betrachtet die altbaltische Religion als ursprüngliche litauische Glaubensrichtung, die im Gegensatz zum Christentum stehe, welches dem Land nach ihrer Ansicht mit Gewalt aufgezwungen wurde.
Für Romuva-Anhänger ist das Christentum „unlitauisch“ und daher fremd. Eine der zentralen Aussagen der Anhänger dieser Religion ist, dass das „Christentum ein Besatzer in Litauen“ sei. Diese provokante These in einem mehrheitlich katholischen Land, das seinen Glauben auch noch ernst nimmt, geht vielen Christen im Land gegen den Strich.
Die Bewegung steht im Konflikt mit der katholischen Kirche, die eine andere Deutung der Geschichte vertritt. Dass diese Gegensätze die Debatte um nationale Identität und religiöse Vielfalt anheizen, ist unvermeidlich – und dürfte noch lange für Kontroversen sorgen.
Vom kulturellen Erbe zur Glaubensgemeinschaft – eine Bewegung zwischen Tradition und Kontroverse
Die heutige Neuheiden-Bewegung Romuva hat ihre Wurzeln in der sowjetischen Ära. Sie ging 1988 aus der Organisation Ramuva hervor, die in den 1960er-Jahren in der Litauischen Sowjetrepublik gegründet worden war.
Offiziell hatte Ramuva das Ziel, die litauische Kultur in Form von Folklore zu bewahren – eine politisch akzeptable Tarnung in einem atheistischen Staat. Doch bereits in den 1970er-Jahren wurde die Organisation von den sowjetischen Behörden verboten, da ihre Aktivitäten zunehmend als religiös wahrgenommen wurden. Erst mit dem Zerfall der Sowjetunion 1991 konnte sich Romuva als religiöse Bewegung formieren und sichtbar werden.
Der Umbruch öffnete auch in anderen ehemals sowjetischen Staaten die Tür für alternative Glaubensrichtungen. Zeitgleich mit Romuva entstand in Lettland die Bewegung Dievturība, die sich ebenfalls auf altbaltische Glaubensvorstellungen beruft.
Der Bezug zur Natur spielt in der Bewegung eine zentrale Rolle. Viele ihrer Rituale und Feierlichkeiten sind an die Jahreszeiten gebunden und finden in der freien Natur statt. Die Gottheiten, wie die Sonnengöttin Saulė oder der Donnergott Perkūnas, spiegeln diese enge Verbindung zur Umwelt wider.
Es ist ein polytheistischer heidnischer Glaube, der die Unantastbarkeit der Natur und die Ahnenverehrung in den Mittelpunkt stellt. Viele Anhänger betrachten das Praktizieren ihres Glaubens als Ausdruck kulturellen Stolzes.
Die Anhänger des Romuva-Glaubens sehen sich als Bewahrer der heidnischen Traditionen des Baltikums, die in der Folklore, den Bräuchen und dem Aberglauben überlebt haben.
Dieser zeigt sich auch im Feiern traditioneller Kunstformen, dem Nacherzählen baltischer Folklore, der Pflege traditioneller Feiertage, dem Spielen baltischer Musik, dem Singen von Dainas (traditionellen Liedern), sowie im ökologischen Aktivismus und der Pflege heiliger Orte.
Die Begriffe Romuva, Romovė und Ruomuva stammen aus mittelalterlichen schriftlichen Quellen in Ostpreußen, in denen der heidnische baltische Tempel Romowe erwähnt wird. Das Wort hat die Bedeutungen „Tempel“ und „Heiligtum“, aber auch „Ort des inneren Friedens“.
Romuva ist vor allem in Litauen verbreitet, findet aber auch Anhänger in Australien, Kanada, Russland, den Vereinigten Staaten und England. Nach der Volkszählung von 2001 identifizierten sich in Litauen etwa 1.200 Personen mit Romuva. Bis zur Volkszählung 2011 stieg diese Zahl auf etwa 5.100 an.