Das strengste Alkoholgesetz Europas
Letzte Runde für Teenager – Litauen verbietet Alkohol für unter 20-Jährige
Die litauische Koalitionsregierung, angeführt von den Bauern und den Grünen, mit Unterstützung der Sozialdemokraten, haben Anfang des Monats das strikteste Alkoholgesetz Europas verabschiedet.
Es verbietet Alkohol-Werbung im Fernsehen, Radio und Zeitungen. Die Zeitfenster für den Verkauf von Alkohol in Geschäften werden enger. Der kontroverseste Beschluss scheint jedoch die Anhebung des Alters, in dem Alkohol getrunken werden darf, von 18 auf 20 Jahre.
Das Gesetz tritt am 1. Januar 2018 in Kraft. Danach dürfen die unter 20-Jährigen nicht nur nicht trinken, sie dürfen mit dem Alkohol buchstäblich nicht in Berührung kommen. Anfassen von Bierflaschen wird damit für Teenager illigal. Ausnahmen gibt es für Teenager, die in Kneipen hinter der Theke oder in der Bedienung arbeiten.
Damit ist es das schärfste Alkoholgesetz Europas. Wie The Guardian letzte Woche berichtete, regt sich in Litauen kaum Widerstand gegen das vergleichsweise radikale Gesetz.
Außer der Liberalen Partei erhebt niemand Einspruch. Auch die jungen Leute, die betroffen sind, steigen nicht auf die Barrikaden.
Litauen hat ein Alkoholproblem. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) attestiert den Litauern Führerschaft im weltweiten Pro-Kopf-Verbrauch von Alkohol.
Im Jahr 2016 trank im Durchschnitt jeder Litauer eine Menge, die 18,2 Litern purem Alkohol entspricht. Noch vor zehn Jahren waren es 14,9 Liter. Die Alkoholmenge entspricht 910 Halbliter-Gläsern Bier pro Kopf und Jahr, ein Konsum von 1,5 Litern Bier täglich. Die Weißrussen, in weltweit zweiter Position, sind den Litauern mit 16,4 Litern dicht auf den Fersen, wenn gleich der Abstand zum Erstplatzierten nicht als knapp zu bezeichnen ist.
Zum Vergleich: Der Verbrauch puren Alkohols auf die Weltbevölkerung gerechnet liegt seit 1990 bei konstanten 4.3 bis 4,7 Litern. Irgendetwas läuft grundlegend falsch in der litauischen Gesellschaft. Etwas, das man nicht durch ein strikteres Alkoholgesetz regulieren könnte. Vielleicht würde man den statistischen Wert um einige Punkte hinterm Komma drücken können, aber dies würde den Lauf der Dinge nicht ändern.
Vertreter der Regierung argumentieren, dass nicht allein der Alkohol das Problem sei, sondern auch die Häufung der damit verbundenen Krankheiten; Litauen ist bei Herzkreislauf- und Krebserkrankungen vorn mit dabei, die Lebenserwartung im EU-Durchschnitt ist miserabel. 2015 lag sie bei 74,6 Jahren, die Lebenserwartung der Männer lag unter 70 Jahren. Zum Vergleich, in Deutschland lag sie im gleichen Zeitraum bei 80,7 Jahren, in Frankreich bei 82,4. Männer leben durchschnittlich knapp 10 Jahre länger in den zuletzt genannten Ländern.
Hinzu kommt, dass Litauen in den letzten Jahren von schockierenden Meldungen erschüttert wurde. Berichte von betrunkenen Polizisten, die Kinder zu Tode fahren, Eltern, die im Alkoholrausch ihre Kinder totprügeln. Die Leute in Litauen haben das Gefühl, dass das Alkoholproblem mittlerweile auch diejenigen trifft, die gar kein Alkoholproblem haben.
Das Land führt auch die EU-Unfallfallstatistik mit Verkehrstoten an. Nach Angaben der Europäischen Kommission, kamen 2015 in Litauen auf 1 Million Menschen 82 Unfälle mit Todesfolge. In Schweden, dem Schlusslicht dieser Statistik, sind es 27 Tote. Der EU-Durchschnitt liegt bei 51,5 Verkehrstoten auf 1 Million Menschen.
Die Regierung muss etwas tun, etwas Radikales, um das Ruder herumzureißen. Und die Regierung tut etwas, was die meisten Regierungen tun, wenn sie etwas tun müssen, aber nicht wissen, was: Sie regulieren, sie verbieten, sie nehmen Verantwortung von den Bürgern, vermutend, dass der Bürger vor sich selbst geschützt werden müsse. Mit einem Wort, die Regierung betreibt Aktionismus.
Die Touristen seien schuld, sie kämen nach Litauen wegen dem billigen Alkohol, und trieben den statistischen Verbrauch in die Höhe, argumentieren andere, vermutlich Alkoholiker. Das Problem ist da, und es lässt sich nicht wegdiskutieren.
Die Liberalen des Landes kritisieren, dass das neue Gesetz die Falschen treffe. Der Alkohol sei nicht das Problem der jungen Generation, sondern eins, das die Älteren betreffe. Mit 18 sei man volljährig, dürfe heiraten, ein Auto führen und wählen, aber die Verantwortung für ihren Alkoholkonsum entziehe man den jungen Erwachsenen. Die Jungen seien nicht die Alkoholiker, argumentiert die liberale Opposition.
Warum aber schweigen die Betroffenen? Die jungen Erwachsenen, deren Rechte beschnitten werden? Vielleicht, weil sie genauso ratlos sind wie die Regierung in Bezug auf das, wie das Alkoholproblem des Landes gelöst werden müsste.
Mit diesem prohibitiven Ansatz wird man in Litauen wenig erreichen, meinen wir. Eine Einschränkung des Zeitfensters für Alkoholverkauf führt dazu, dass in den vorhandenen Zeitfenstern mehr Alkohol bevorratet wird. Das Verbot der Alkoholwerbung wird dazu führen, dass etablierte Alkoholmarken ihre Marktposition einbetonieren werden, Markteinführungen neuer Produkte, neuer Anbieter werden erschwert, wenn nicht verhindert. Die Etablierten geben weniger Geld für Werbung aus, machen mehr Profite.
Und schließlich das Verbot für unter 20-Jährige Alkoholflaschen anzurühren. Abgesehen davon, dass das Verbot der Berührung einer Bierflasche nichts bewirkt, außer, dass das Gesetz radikaler erscheint und in den Medien und Bevölkerung verstärkt zu Diskussionen führt, ist es blanker Unsinn.
Das Trinkverbot für unter 20-Jährige zielt an der Realität des litauischen Alkoholproblems vorbei. Es sind nicht die Achtzehnjährigen, die unter Alkoholeinfluss ihre Ehepartner und Kinder terrorisieren, sie haben in der Regel noch keine. Die Absicht, Jugendliche so lang wie möglich von Alkohol fernzuhalten, ist gut gemeint, aber ob eine Zugangsbeschränkung dazu führt, dass Litauen in Zukunft sein Alkoholproblem in den Griff bekommt, ist unwahrscheinlich.
Die litauische Regierung, vielleicht kann man sogar davon sprechen, die litauische Gesellschaft, laboriert lieber an der Oberfläche herum, anstatt in die Tiefenanalyse einzusteigen. Denn nicht den Zugang zum Alkohol gilt es zu beseitigen. Vielmehr müssen die Gründe für den Alkoholmissbrauch gefunden und eliminiert werden. Dies wird mit einem Gesetzeserlass jedoch nicht zu lösen sein.
ap