„Jeden Tag etwas Neues“
Zukunft geht durch den Magen – Kulinarisches Klaipėda
Litauen steht bislang selten auf der Speisekarte von Food-Touristen. Das könnte sich bald ändern: In den baltischen Staaten wächst eine neue Generation von Gastronomen heran, die den Spagat zwischen traditionellen Gerichten und modernen Trends wagt. Eine kulinarische Reise durch den Küstenort Klaipėda.
Es ist ein warmer Sommerabend. Die Garage riecht nach frischem Brot. Die Sonne scheint zwischen den backsteinernen Lagerhäusern hervor auf den Innenhof der ehemaligen Süßwarenfabrik. Litauische, französische und finnische Nummernschilder zieren die Außenwand des Restaurants Garažas in der litauischen Hafenstadt Klaipėda. Am Eingang weist die Inhaberin Ramunė Bružienė Gäste ein.
„Jeden Tag etwas Neues“
Ramunės Restaurant öffnete erst kurz vor Pandemiebeginn seine Türen. Mittlerweile ist das Reservierungsbuch des Garažas regelmäßig gut gefüllt. Wo heutzutage junge und alte Menschen speisen, wurde einst Schokolade produziert. Deutsche Kaufleute gründeten an dieser Stelle 1876 eine Süßwarenfabrik, als die Stadt noch Memel hieß und preußisch war. Von der Manufaktur blieben nach dem Krieg lediglich die alten Garagen, die dem Restaurant heute seinen Namen geben.
„Man sollte jeden Tag etwas Neues lernen“, sagt Ramunė mit gelassener Überzeugung. „Ich wüsste nicht, warum das beim Essen nicht auch so sein sollte.“ Stolz erzählt sie von der Vision des Restaurants, klassischen litauischen Gerichten eine moderne Note zu geben. Als sie die lokalen Zutaten und das ständig wechselnde Menü erklärt, leuchten ihre Augen. Besonders angetan habe es ihr der italienische Pinienlikör. Schon die erste Duftnote erinnert an einen Spaziergang durch einen sommerlichen Nadelwald.
Der Küchenchef tritt an den Tisch. Er reicht hausgemachtes dunkles Brot. Das wird er an diesem Abend noch mehrfach tun, denn das Restaurant ist gut besucht und jeder Tisch bekommt von ihm einen kleinen Brotkorb.
Schon bei der Vorspeise wird klar, wie sich die Küche die Verbindung von Alt und Neu vorstellt: Es gibt Heringstartar, ein klassisches Gericht der litauischen und polnischen Küche. Dill und Zwiebel sucht man auf dem Teller jedoch vergebens. Stattdessen gibt es süße Früchte und Kapernäpfel. Sie bilden ein Gegengewicht zum säuerlichen Fisch.
Litauens traditionelle Küche: (Noch) kein Traum für Veganer
Das Garažas ist nicht das einzige Restaurant in Klaipėda, das Litauens Wurzeln neu entdecken möchte. Überall im Land versuchen sich Küchenchefs experimentierfreudig.
Gäste, die die bekannten Klassiker der litauischen Küche suchen, können sich in Klaipėdas zahlreichen folkloristischen Lokalen durch die regionalen Spezialitäten essen. Ein beliebter Anlaufpunkt ist das Etnodvaras, das auch Filialen in anderen Städten des Landes betreibt.
Servicekräfte in Trachten bringen die Klassiker der lokalen Küche: Neulinge sollten ihre kulinarische Tour am besten mit Šaltibarščiai beginnen. Die kalte Suppe aus Kefir und roter Beete wird mit Kartoffeln serviert und erfrischt besonders im Sommer. Ein Muss bilden auch Bohnen mit Speck (žirniai su spirgučiais), die herzhaften Kartoffelpuffer (bulviniai blynai) sowie Kastinys, eine kräftige Butter aus saurer Sahne. Auch Litauens Nationalgericht schlechthin sollten mindestens einmal auf dem Menü stehen: Die Cepelinai – mit Fleisch oder Quark gefüllte Klöße – halten lange satt.
Zum Nachkochen eines litauischen Gerichts gibt es hier von Nordisch.info vorgestellte Rezepte: Pyragėliai su grybais (Piroggen mit Pilzen) und Kugelis (ein Kartoffelkuchen). |
Ohnehin isst Litauen traditionell sehr deftig. Selten kommt ein Gericht ohne Fleisch, Kartoffeln oder Milchprodukte aus. Viele Restaurants in Klaipėda bieten zwar vegetarische Gerichte an. Für vegan lebende Menschen sieht es aber oft noch dürftig aus. Vegane Reisende sollten sich daher dringend vorab über Alternativen informieren.
Essen unter Segeln und unter Sternen
Wer in besonderem Ambiente essen möchte, findet in Klaipėda einzigartige Orte vor. Eines der bekanntesten Restaurants lockt Besucher unter die Segel des städtischen Wahrzeichens, der Meridianas. Das ehemalige sowjetische Segelschulschiff liegt seit den Siebzigern am Ufer des Flusses Dangė vor Anker. Seitdem werden im Rumpf und an Deck des Restaurantschiffs maritime Gerichte serviert.
Heutzutage stammen diese nicht nur aus der Ostsee, sondern auch aus den Weltmeeren, zum Beispiel Austern, Garnelen und Thunfisch.
Echte Spitzenküche bietet das Restaurant Monai. 2018 errang es sogar den zweiten Platz aller Restaurants auf dem White Guide, dem wichtigsten Restaurant-Ranking in Nordeuropa. Monai bietet Gästen eine wechselnde Karte mit Gerichten aus saisonalen Zutaten. Seit seinem durchschlagenden Erfolg ist das Restaurant kein Geheimtipp mehr. Für ein Abendessen sollten Gäste im Vorhinein reservieren.
Besonders in den lauen Sommernächten, in denen es kaum dunkel wird, verlagert sich das Nachtleben der Stadt nach draußen. Am Ufer der Dangė liegen zahlreiche Restaurantboote, viele von ihnen bieten Live-Musik. Den besten Ausblick genießt man vom höchsten Gebäude der Stadt: Die Skybar liegt im 21. Stock des Amberton-Hotels und serviert Speisen und Cocktails mit einem Blick über Klaipėda, das Haff und sogar die kurische Nehrung bis zur Ostsee. Einen besseren Ausblick hat man hier nirgendwo.
Klaipėda: Litauens Craftbier-Geheimtipp
Rustikaler geht es wenig entfernt im Industriekomplex Herkus Mantas zu. In eine alte sowjetische Bootswerft sind eine Reihe von Bars und Ständen eingezogen, die lokale Craftbiere und Street-Food servieren. Aufgrund seiner alternativen Atmosphäre wird der Komplex von seiner jungen örtlichen Kundschaft liebevoll „kleines Berlin“ genannt.
Dem Ursprung der Craftbiere, die im Herkus Mantas serviert werden, können Food-Touristen in Klaipėda selbst auf den Grund gehen. Den Leuchtturm (Lit. Švyturys) auf dem Dach, der dem größten Braukonzern des Landes seinen Namen gab, sieht man schon von weitem. Schon zu preußischen Zeiten wurde hier im Stadtzentrum Bier gebraut. Nach dem Krieg gehörte die Brauerei zu den ersten Gebäuden, die die sowjetischen Besatzer wiedererrichteten.
Heutzutage werden hier vor allem kleinere Chargen besonderer Biere gebraut. Im frisch renovierten Brauhaus kann man sich durch verschiedene Craftbiere probieren, während man durch eine Glasscheibe die Brautanks zusehen kann. Die Brauerei bietet auch geführte Touren mit Verkostungen auf Litauisch und Englisch.
Ob im Glas oder auf dem Teller: Die Zeit, in der in Litauen nur westliche Marken und Gerichte als schick galten, scheint vorbei zu sein. Immer stärker besinnen sich Produzenten und Gastronomen auf regionale Produkte, landeseigene Traditionen und saisonales Angebot.
Statt die gleichen alten Rezepte herauszuholen, verpassen sie Altbewährtem einen modernen Schliff. Diese Experimentierfreude dürfte noch einige süße Früchte tragen – die nicht selten mit Hering serviert werden.