Interview über spannende nordische Acts und Eventplanung in Pandemie-Zeiten
Glückwunsch! Festival „Nordischer Klang“ trotzt Corona – und feiert 30. Jubiläum
Das wunderbare Festival „Nordischer Klang“ feiert in diesem Jahr 30. Jubiläum. Glückwunsch dazu! Und weil beim Nordischen Klang nunmal nordische Klänge tonangebend sind (Heimspiel sozusagen), haben wir mit den treibenden Kräften hinter der Greifswalder Kulturveranstaltung ein ausführliches Interview geführt – über spannende Acts aus dem Norden Europas und natürlich/leider Kultur & Corona.
Dabei haben wir festgestellt, dass der Nordische Klang gut gewappnet zu sein scheint für alles, was da kommt. Und überhaupt: Schön zu hören, dass der Kulturbetrieb trotz eines sehr schwierigen Jahres nicht bereit ist, der Pandemie die Bühne zu überlassen. Wir sprachen mit Festivalleiter Marko Pantermöller, Projektorganisatorin Christine Nickel und Frithjof Strauß, dem künstlerischen Leiter der Veranstaltung.
Herzlichen Glückwunsch, das Festival Nordischer Klang feiert dieses Jahr 30. Jubiläum. Bitte beschreiben Sie unseren Leserinnen und Lesern kurz den Kern, das Besondere Ihrer Veranstaltung.
Frithjof Strauß: Das Festival bringt Musik aller Couleur und Kultur aus Nordeuropa nach Mecklenburg-Vorpommern. Viele unserer Acts sind sozusagen „Direktimporte“ und Deutschlandpremieren. Wichtig für uns sind Originalität, Vielfalt und ein hohes Genussniveau. Dabei spielt gerade auch der Beitrag eingewanderter Menschen eine große Rolle. So kommt über den Norden die Welt nach Greifswald.
Wie kam es ursprünglich dazu? Warum der Fokus auf die nordeuropäische Kulturszene?
Frithjof Strauß: Ohne Nordeuropa würde es Greifswald gar nicht geben, denn dänische Mönche gründeten die Stadt im Mittelalter. Weitere Bezüge geben die Schwedenzeit vom 17. bis ins 19. Jahrhundert und natürlich die Nordeuropa-Studien an der Universität. Nach der Wende entschlossen sich die Uni-Fächer Fennistik und Skandinavistik, eine kulturelle Brücke zum Norden zu bauen, um die dortigen Kulturszenen auch hier erlebbar zu machen. So kam es dann zum Nordischen Klang.
Dieses Jahr spielt Finnland beim Nordischen Klang eine tragende Rolle – „skurril“ und „verwegen“ beschreiben Sie im Programm zwei Ihrer Hauptacts. Haben Sie eine Erklärung für die finnische Vorliebe zum Außergewöhnlichen?
Frithjof Strauß: Die finnische Musik ist einerseits von einer Art kontrollierter Pathetik geprägt – man denke an Sibelius, Kantele-Folk oder den Finnentango. Im 20. Jahrhundert haben Musikimporte aus dem russischen und deutschen Raum diese Tendenz verstärkt. Andererseits gibt es auch immer wieder erfolgreiche Versuche – mal leidenschaftlich, mal ironisch – aus dem besagten Muster auszubrechen.
Für Sie als Festival-Betreiber ein Geschenk?
Frithjof Strauß: Ja, absolut. Diese Acts bringen frischen Wind, was man beim Ethnoelectro-Rap von Suistamon Sähkö und auch bei Antti Paalanens wahnwitzigen Akkordeonattacken erleben kann. Bubbeli aus der finnischen Südsee spielt sonnigen Reggae, wogegen Anna Murtola und Joonas Widenius wohl die nördlichsten Flamencoartisten der Welt sind.
Auch aus den anderen nordischen Ländern werden spannende und vielversprechende Acts erwartet. Können Sie uns einen kleinen Einblick in das weitere diesjährige Programm geben?
Frithjof Strauß: Da gebe ich mal eine repräsentative Auswahl. Eine Band wie Blonde Bass aus Dänemark gibt es wohl nur einmal auf der Welt: drei Jazzbassistinnen, die gleichzeitig auch singen. Kontemplative Improvisationen über isländischen Folk kann man mit dem Duo RÍMUR im Dom erleben. Karmen Rõivassepp singt mit luftiger Leichtigkeit auf Estnisch, Englisch und Portugiesisch. Die norwegische Folkemusikksängerin Camilla Granlien interpretiert alte Weisen im modernen Gewand.
Völlig fernab von Mainstream. Oder täuscht der Eindruck?
Frithjof Strauß: Kein bisschen. Und es geht weiter: Die phänomenale kubanische Singer/Songwriterin Rosa Cruz aus Estland sowie die senegalesisch-schwedische Afropop-Band von Sousou und Maher Cissoko repräsentieren das tropische Nordeuropa. Klassik erklingt dann aber auch, auf einem schwedischen Liederabend und in einem finnischen Sinfoniekonzert. Das volle Programm.
Wie liefen die Vorbereitungen für Sie eigentlich letztes Jahr, also vor dem 29. Nordischen Klang? Auch da rollte ja schon Corona übers Land.
Marko Pantermöller: Durch den Festivaltermin im Frühjahr gehörten wir 2020 zu den Ersten, die Liveveranstaltungen absagen mussten. Nach nervenzehrendem Warten auf gute oder zumindest verbindliche Nachrichten stellten wir den 29. Nordischen Klang dann sehr kurzfristig auf ein elektronisches Format um.
Und dieses Jahr?
Marko Pantermöller: Dieses Jahr ist die Situation für die Programmplanung zwar wieder nicht wesentlich sicherer, aber dennoch empfindet unser Team sie als weniger belastend. Im Jubiläumsjahr können wir den Aufwand von alternativen Planungen schon wesentlich besser abschätzen.
Konkret: Seit Monaten überlagern Fragen zu „infektiologischen Machbarkeiten“ den gesamten Kulturbetrieb. Auch Sie setzen 2021 auf ein sehr spezielles, sozusagen mehrstufiges Festival-Format. Wie kam es zu dem Konzept, und hat es womöglich so etwas wie kulturpolitischen Testcharakter?
Marko Pantermöller: Wir haben unser Programm in mehreren Stufen nachjustiert und wo immer möglich auch Alternativen für den Worst Case bedacht. Ob die neue Fokussierung auf zwei Serien mit Open-Air-Veranstaltungen zu einem kulturpolitischen Testlauf wird, hängt letztlich nur von äußeren Umständen ab. Wir hoffen natürlich, dass wir in diesem Jahr schon auf erste Öffnungserfahrungen anderer Veranstalter zurückgreifen können. Wir sind aber auch 2021 bereit, eine Pionierrolle zu übernehmen, falls es nötig und möglich sein sollte.
Ist für Sie als Insider schon absehbar, wie sich der Kulturbetrieb im Ganzen durch Corona verändern wird?
Christine Nickel: Zunächst einmal muss ich sagen, dass viele Kulturinstitutionen sehr flexibel und teilweise unter hohem Aufwand auf die herausfordernde Situation reagiert haben – mit detaillierten Hygienekonzepten und alternativen Veranstaltungsformaten im Digitalen. Der Kreativität waren und sind dabei keine Grenzen gesetzt. Ich glaube fest daran, dass vieles von dem, was sich bewährt hat und erfolgreich umsetzen lässt, bleiben und sich weiterentwickeln wird.
Dennoch mussten Großveranstaltungen wie „Rock am Ring“ und „Rock im Park“ vor wenigen Wochen wie schon 2020 abgesagt werden.
Christine Nickel: Der spielerische Umgang mit der Situation hat viele spannende neue Formate entwickelt. Da wurden völlig neue Dimensionen eröffnet, was das Erleben von Kultur betrifft. Aber: Sich auf neue Formate einzulassen und alternative Wege zu gehen, fällt den einen eben leichter als den anderen. Das liegt auch daran, dass gerade Festivals in solcher Größenordnung von einem großen Miteinander leben – vom gemeinsamen Genuss ohne Abstand. Dass beide Festivals abgesagt wurden, ist symptomatisch für die Grenzen, die es für das Realisieren vieler Kulturereignisse unter den aktuellen Umständen leider gibt.
Ist Kultur auf absehbare Zeit nur noch im recht kleinen Rahmen denkbar?
Christine Nickel: Unmittelbarkeit, Nähe, Erleben live und in Farbe – das vermissen viele, und die Sehnsucht danach wird wohl nicht müde werden. Der Wunsch nach einer Normalität wie in vorpandemischer Zeit, das ist in der Szene deutlich zu spüren, ist noch nicht abgeschrieben. Daher tippe ich, dass im Moment vieles als Übergangslösung zu betrachten ist, bis wir zu einem Modus zurückfinden, in dem Kultur wieder live mit Publikum stattfinden kann.
Können Sie abschließend kurz sagen, wie Ihre Ansprechpartner in Nordeuropa die Perspektive bewerten? Vielleicht speziell die Sichtweise in Finnland?
Marko Pantermöller: Auch unsere Kooperationspartner in Nordeuropa sind sich sehr bewusst, dass Perspektiven im Moment immer nur sehr kurzfristig bewertet werden können. Einen Teil des Programms, für den keine Open Air-Realisierung möglich ist, haben wir bereits frühzeitig unter verständnisvoller Beibehaltung der Förderungszusage in das Jahr 2022 verschieben können. Auch Künstler, die wir wegen besonderer Risiken in unseren Planungen leider nicht weiter berücksichtigen konnten, teilten unsere Sorgen.
Was sind das im Speziellen für Risiken?
Marko Pantermöller: Besondere Risiken sind beispielsweise mit sehr großen Ensembles verbunden. Aber auch mit Programmpunkten, für deren Refinanzierung wir auf ein sehr großes Publikum setzen müssen.
Wie verbleibt man dann?
Marko Pantermöller: Natürlich hoffen insbesondere auch unsere finnischen Kooperationspartner auf eine Realisierbarkeit der Live-Veranstaltungen im Sommer. Wir sind sehr dankbar dafür, dass selbst der organisatorische Mehraufwand unserer zeitlichen Umplanungen mit großem Zuspruch mitgetragen wird. Andererseits eint uns – auch unausgesprochen – das Bewusstsein, dass alles irgendwie im Fluss ist. Und dass derzeit niemand die Fließrichtung vorhersagen kann.
Wir wünschen Ihnen persönlich und Ihren Plänen für den 30. Nordischen Klang nur das Beste. Frau Nickel, Herr Pantermöller, Herr Strauß, haben Sie Dank für das Gespräch.
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