Spannende Forschungsergebnisse von Archäologin Marianne Vedeler
Mittelalterliches Essen in Norwegen? Erstaunlich schmackhaft und exotisch gewürzt, aber dann…
Das Bild vieler Erzählungen aus dem Mittelalter ist mit Attributen wie Genuss oder gar kulinarischer Finesse nur schwer vereinbar. Umso erstaunlicher, dass ein Buch der Autorin Marianne Vedeler mit Blick auf die norwegische Küche zu einem – in Teilen – völlig anderen Schluss kommt. Es schmeckte.
Bild 1: Rindfleischeintopf mit Pilzen, Rotwein, Zwiebeln, Thymian und Traubensauce. („Middelalderens kjøkken“)
Bild 2: Das Sach-/Kochbuch „Middelalderens kjøkken“ – Die mittelalterliche Küche. (Norli.no)
Bild 3: Eine Art Grillrost aus dem Mittelalter – aus Schiefer, gefunden in Oslo. (Kulturhistorisches Museum Oslo)
Bild 4: Traubensauce zu gebratenem Fleisch – aus frischen Weintrauben, Knoblauch und ein wenig Salz. („Middelalderens kjøkken“)
„Gewürze wurden in Norwegen wahrscheinlich zu Beginn des nordischen Mittelalters populär, also ab Mitte des 12. Jahrhunderts“, schätzt Vedeler, die hauptberuflich Professorin für Archäologie am Kulturhistorischen Museum der Universität Oslo ist.
Sie und ihr Team haben zuletzt intensiv über jahrhundertealte Kochtraditionen Norwegens geforscht. Zur Verfügung standen einerseits mittelalterliche Schriftquellen und andererseits Erkenntnisse, die bei archäologischen Ausgrabungen gesammelt werden konnten.
„Die Menschen kochten lokales Gemüse und Fleisch, aber würzten ihre Speisen mit importierten, teils exotischen Gewürzen. Anfangs konnten sich nur reiche Leute diese importierten Waren leisten, aber später wurden die Gewürze offenbar zu alltäglichen Haushaltsgegenständen“, so Vedeler.
Die wichtigsten Gewürze dieser Zeit waren so namhafte Vertreter wie Safran, Nelken, Muskatnuss, Kardamom, Ingwer und Zimt. In der Tat Geschmäcker, die man nicht zwingend auf dem Schirm haben muss, wenn es um mittelalterliche Kost aus Skandinavien geht.
Zumal: Heutige Rezepte, die traditionelle norwegische Gerichte wie Pinnekjøtt (Lammrippchen), Fårikål (Hammelfleisch mit Kohl) oder den weihnachtlichen Lutefisk abbilden, kommen tendenziell mit Salz und Pfeffer daher. Eher „Karo einfach“ also, wenn man in Feinschmecker-Dimensionen denkt.
Das eigentliche Mittelalter begann im hohen Norden erst mit dem Ende der Wikingerzeit
„Diese Speisen wurden erst viel später eingeführt, als das Mittelalter um das Jahr 1500 endete. Zu diesem Zeitpunkt hörten die Menschen auf einmal auf, ihre Speisen so erlesen zu würzen, wie sie es früher taten. Wir wissen noch nicht, warum das geschah“, teilte Vedeler mit.
Das sogenannte Mittelalter begann im hohen Norden erst, als sich die Wikingerzeit dem Ende zuwandte. Die meisten Menschen waren Bauern, aber die Städte wuchsen. Der Seehandel mit Kerneuropa nahm stetig zu, wodurch auch neue Lebensmittel in immer größerem Maßstab nach Norwegen kamen.
„In Ausgrabungen aus dem Mittelalter hat man viele Feigen gefunden. Wein und frische oder getrocknete Weintrauben wurden als Nahrungsmittel verwendet. Wahrscheinlich wurde auch ein wenig Zucker importiert, aber das wichtigste Süßungsmittel war Honig“, so Vedeler weiter.
Ihr Buch über mittelalterliches Essen mit dem Titel „Middelalderens kjøkken“ (Die mittelalterliche Küche) enthält auch Rezepte, die die Autorin wegen größtenteils fehlender Mengenangaben lange an ihrer Familie und dem Freundeskreis ausprobieren musste.
Bei der Recherche spielten auch Preis- und Importlisten aus dem damaligen Handel eine Rolle, jede verfügbare Information war wichtig. Marianne Vedeler, die sagt, auch ohne Forschungshintergrund eine leidenschaftliche Köchin zu sein, hat aus all dem Rezepte für den modernen Gaumen kreiert.
„Meine Kinder sind mit mittelalterlichem Essen aufgewachsen, für sie ist das normal“
„Meine Kinder sind tatsächlich mit mittelalterlichem Essen aufgewachsen. Für sie ist das völlig normal“, so die Archäologin, die bei ihrer Forschung aber nicht nur den Geschmack fokussiert, sondern auch das Drumherum im Blick behält.
Während einfache Leute ihr Essen auf einer offenen Feuerstelle in zumeist kleinen Holzhäusern zubereiteten, hatten die Reichen ihre eigenen Küchen und oft einen professionellen Koch. „Die Köche waren in der mittelalterlichen Ernährungsphilosophie gut geschult. Essen war auch Medizin“, sagt sie.
Konkret: Essen und Trinken waren längst nicht nur nicht nur eine Frage des guten Geschmacks und der Ernährung, sondern sollten im mittelalterlichen Norwegen auch dafür sorgen, dass der Körper im Gleichgewicht blieb – oder dahin zurückkehrte.
Das meiste davon, die Philosophie vom Essen und auch die Rezepte, war allerdings nicht ur-norwegisch, sondern kam aus südlicheren Gefilden hoch in den Norden. Laut Vedeler sind viele Rezepte, die sie fand, Kopien oder Erweiterungen, die aus Deutschland oder Frankreich stammten.
Und es gab noch einen „Player“ mit ganz erheblichem Einfluss auf die Essgewohnheiten im mittelalterlichen Norwegen: die katholische Kirche. „Der Glaube regelte das tägliche Leben und die Mahlzeiten in ganz Europa, auch in Norwegen“, sagt Vedeler.
Die Kirche und die Kreuzzüge haben die mittelalterliche Kost massiv beeinflusst
„Die Kirche bestimmte, an welchen Tagen die Menschen kein Fleisch essen durften, dass sie freitags Fisch essen mussten, dass sie kein Pferd essen durften und dass sie vor Weihnachten und Ostern fasten mussten“, ergänzt Geschichtsprofessor Karl Christian Alvestad.
Er hat bei seiner Forschung an der Hochschule Südostnorwegen in Telemark auch den größeren geografischen Kontext im Blick. „Die Notwendigkeit, Fisch zu essen, führte zu einer Nachfrage nach getrocknetem Fisch und gesalzenem Hering, von dem Norwegen eine Menge hatte“, so Alvestad.
Dies trug dazu bei, den Export von Fisch aus Norwegen in das übrige Europa anzukurbeln, was ja bis heute sozusagen eine Hauptfließrichtung von Omega-3-Fettsäuren ist. Einen gewaltigen Einfluss hätten aber auch die Kreuzzüge von Europa in den Nahen Osten gehabt.
„Die Kreuzfahrer lernten neue Lebensmittel kennen, die sie mitbrachten, was wiederum eine Nachfrage schuf. Genauso wie der moderne Tourismus zu einer größeren Vielfalt in der norwegischen Ernährung beigetragen hat“, schließt sich hier für Alvestad ein kulinarischer Kreis zur Moderne.