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Keine unberührte Wildnis mehr

Müll aus Deutschland landet in der Arktis

Gibt es überhaupt noch die sogenannte unberührte Natur? Forscher haben Plastikmüll in der Arktis untersucht. Eine Flasche aus den 1960ern ist das älteste identifizierte Stück. Die Abfälle kommen aus aller Welt, auch aus Deutschland.

Plastikmüll Arktis
Bürgerwissenschaftler sammeln angeschwemmten Plastikmüll an einem Strand auf Spitzbergen. (Foto: Birgit Lutz)
„Citizen Science“ ermöglicht es interessierten Bürgern, sich aktiv an der wissenschaftlichen Forschung zu beteiligen. Ein AWI-Projekt in der Arktis zeigt, wie erfolgreich das sein kann.

Über einen Zeitraum von fünf Jahren sammelten Projekt-Teilnehmer an den Stränden Spitzbergens angeschwemmten Plastikmüll, den das Alfred-Wegener-Institut nun ausgewertet hat.

Demnach stammt ein Drittel des eindeutig identifizierbaren Plastikmülls aus Europa, ein großer Teil davon aus Deutschland. Die Ergebnisse, die jetzt in der Fachzeitschrift Frontiers veröffentlicht wurden, machen deutlich, dass auch reiche und umweltbewusste Industrienationen wie Deutschland erheblich zur Verschmutzung entfernter Ökosysteme wie der Arktis beitragen.

Plastikmüll ist ein globales Problem, das auch vor der scheinbar unberührten Wildnis des hohen Nordens nicht Halt macht. So treiben auch im Arktischen Ozean riesige Mengen an Plastikmüll.

Woher dieser genau kommt, ist nicht eindeutig bekannt. Ein Citizen-Science-Projekt des Alfred-Wegener-Instituts, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI), liefert dazu nun erstmals eine wichtige Datenbasis.

„2016 haben wir begonnen, mit Hilfe von citizens die Zusammensetzung von Müll an arktischen Stränden zu erforschen“, sagt AWI-Wissenschaftlerin Dr. Melanie Bergmann, die die Idee zu dem Projekt hatte, so das Institutz in einer Pressemitteilung.

Spitzbergen Müll Studie
In der Arktis angeschwemmter Müll, sortiert nach Herkunftsland (Foto: J. Hagemann)
In Zusammenarbeit mit arktischen Reiseveranstaltern haben Reisende Müll gesammelt, der an den Stränden Spitzbergens angespült wurde. Zwischen 2016 und 2021 wurden so 23.000 Teile mit einem Gesamtgewicht von 1.620 Kilogramm gesammelt.

„Nun sind wir einen Schritt weiter gegangen und haben untersucht, woher genau der Müll kommt, der noch Herkunftsdaten aufweist“, sagt Melanie Bergmann. „Unsere Auswertung zeigt, dass mit 80 Prozent der weitaus größte Teil Plastikmüll ist“, ergänzt Anna Natalie Meyer vom AWI, Erstautorin der Studie.

Das meiste davon ist auf die Fischerei zurückzuführen, daher lassen sich kaum Rückschlüsse auf die Herkunft des Plastikmülls ziehen. Bei etwa einem Prozent des Mülls konnten noch Etiketten oder Aufdrucke identifiziert werden – das meiste davon von Arktisanrainerstaaten, vor allem aus Russland und Norwegen.

„Aus Messkampagnen und Computermodellen wissen wir, dass es für die Plastikverschmutzung in der Arktis lokale und ferne Quellen gibt“, sagt Anna Natalie Meyer.

„Von Schiffen und aus arktischen Siedlungen gelangt lokal Plastikmüll ins Meer. Aus der Ferne wird Plastikmüll und Mikroplastik über zahlreiche Flüsse und über Ozeanströmungen aus dem Atlantik, der Nordsee und dem Nordpazifik in den Arktischen Ozean transportiert.“

An der Küste Spitzbergens fanden die Forscher sogar Müll aus sehr weit entfernten Ländern wie Brasilien, China und den USA. Auch Teile aus Deutschland fanden ihren Weg in den hohen Norden und machten acht Prozent aus.

„Vor dem Hintergrund, dass Deutschland Europameister sowohl in der Plastik-Produktion als auch in Müllexporten ist, erscheint dieser verhältnismäßig hohe Beitrag weniger verwunderlich“, sagt Melanie Bergmann.

Laut der Studie zeigt ein Vergleich der neuen Daten mit früheren Erhebungen an der Meeresoberfläche und am Tiefseeboden, dass sich an arktischen Stränden deutlich mehr Müll ansammelt und eine Art Endlager entsteht.

Der Plastikmüll stellt eine zusätzliche Herausforderung für die arktischen Ökosysteme dar, die durch die steigenden Temperaturen infolge des Klimawandels bereits extrem belastet sind. Denn die Arktis erwärmt sich viermal so schnell wie der globale Durchschnitt.

„Unsere Ergebnisse verdeutlichen, dass selbst reiche und umweltbewusste Industrienationen wie Deutschland, die sich ein besseres Abfall-Management leisten könnten, signifikant zur Verschmutzung ferner Ökosysteme wie der Arktis beitragen“, sagt AWI-Expertin Melanie Bergmann.

„Um das Problem wirkungsvoll anzugehen, muss deshalb nicht nur das Abfallmanagement vor Ort – insbesondere auf Schiffen und in der Fischerei – verbessert werden. Mindestens genauso wichtig ist die massive Reduktion der globalen Plastikproduktion, insbesondere in den Industrienationen Europas, Nordamerikas und Asiens, da etwa 11 Prozent der Plastikproduktion in unsere Gewässer gelangen. Das unterstreicht einmal mehr die Dringlichkeit für ein ambitioniertes und rechtsverbindliches UN Plastik Abkommen, das aktuell verhandelt wird und 2024 in Kraft treten soll.“

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