Geschichte aus dem 2. Weltkrieg
Die rote Wichtelmütze: Norwegens stiller Weihnachtskarten-Widerstand gegen die Nazis
Fünf Jahre war Norwegen im 2. Weltkrieg von Nazi-Deutschland besetzt. Fünf lange Jahre, in denen der Zivilgesellschaft Repressalien und Gewalt in allen erdenklichen Formen drohten. Inhaftierung, Verschleppung, Zwangsarbeit, Mord – wie üblich schreckten Hitlers Handlanger vor nichts zurück.
Bilder 1 bis 4: Norwegisches Museum für Kulturgeschichte
Probleme hatte vor allem, wer nicht ins Schema der Besatzer passte oder im Verdacht stand, negativen Einfluss auszuüben: Juden allen voran, dazu Kommunisten und Sozialdemokraten, Gewerkschafter, missliebige Lehr- und Sicherheitskräfte, Armeeoffiziere etc.
Um Exempel zu statuieren, wurden landesweit mehrere Strafgefangenenlager geschaffen. In vielen Fällen waren es Orte ohne Wiederkehr. Dabei hätte es im System der Besatzer ja Alternativen gegeben, aber viele Norweger waren für blinden Gehorsam und die Fraternisierung mit dem Bösen nicht zu haben.
Zu einem Sinnbild der Lage wurde Vidkun Abraham Lauritz Jonssøn Quisling, den die Nazis von 1942 bis Kriegsende als Ministerpräsidenten und loyalen Statthalter eingesetzt hatten – im Tausch gegen die gewählte Regierung um den ins Exil geflohenen Sozialdemokraten Johan Nygaardsvold.
Doch Quisling, ein Faschist sondergleichen, war in Norwegen so beliebt wie ein fauler Zahn, nichts anderes als der Anführer einer nur sich selbst dienenden Marionettenregierung. Noch nicht einmal Hitler soll den Ministerpräsidenten geachtet, geschweige denn gemocht haben.
Aber: In einem gewissen Rahmen, den ihm die Nazis zugestandenen, konnte Quisling mithilfe seiner Partei Nasjonal Samling (kurz: NS) Macht ausüben und Dinge in die Richtung lenken, die seinem braunen Weltbild dienten.
Eine dieser Schöpfungen war ein Erlass vom 18. Dezember 1941, der es allen im Lande verbot, die norwegische Flagge und ihre Farben in einer Weise darzustellen bzw. zu verwenden, die Quisling und die Seinen als verletzend für das Nationalgefühl ansahen.
Das Tragen roter Hüte in der Öffentlichkeit wurde zur Straftat
In Missgunst gerieten so auch rote Wichtelmützen, die in Norwegen nicht nur aus Tradition, sondern fortan auch als leise Form des Widerstands gegen die Nazis auf vielen Weihnachts-Grußkarten abgedruckt waren. Zusammen mit anderen Symbolen, die sozusagen als Chiffre für ein freies Norwegen standen.
Dem gegenüber stand die Zensur, die genau auf solche Zeichen der zwar unbewaffneten, aber dennoch als hoch gefährlich angesehenen Auflehnung abzielte. Was nicht passte oder aus Sicht der Machthaber drüber war, wurde beschlagnahmt und vernichtet. Das Tragen roter Hüte in der Öffentlichkeit wurde gar zur Straftat.
Mehrere Beispiele für solche Karten sind oben in der Bildergalerie dargestellt. Darunter eine bemerkenswert „freche“ Variante, in der ein großer schwarzer Vogel einem Wichtel die rote Mütze vom Kopf reißt. Eine doch recht offene Anspielung an den deutschen Reichsadler.
In anderen Varianten trugen die Wichtel schließlich keine roten Mützen mehr, sondern andersfarbige, was natürlich als Statement von Pseudo-Gefügigkeit verstanden werden durfte. Einige dieser sehr besonderen Karten sind heute im Besitz von Anja Hysvær Langgåt.
Sie ist Konservatorin im Norwegischen Museum für Kulturgeschichte und sagt: „Es ist nicht überraschend, dass viele dieser Grußkarten beschlagnahmt wurden.“ Unterstützung erhält sie von der Zeitzeugin Sigrid Torjusson, die heute als freiwillige Helferin für das Museum tätig ist.
„Ich finde, das war ein sehr starkes Symbol, ein beachtlicher Protest“, sagte sie gegenüber Science Norway. „Es war ziemlich mutig, diese Weihnachtskarten zu erstellen und zu verschicken.“
„Ein Kleidungsstück mit langen historischen Wurzeln als Symbol für Freiheit“
Laut Ingun Grimstad Klepp, Textilforscherin am OsloMet, waren reale rote Weihnachtsmannmützen in Norwegen auch schon vor dem 2. Weltkrieg beliebt. Sie hat dazu als eine der Autorinnen des Sachbuches „Norsk strikkehistorie“ (Norwegische Strickgeschichte) geforscht.
„Die Menschen strickten sie oft selbst. Es ist ein Kleidungsstück mit langen historischen Wurzeln als Symbol für Freiheit und politische Einheit“, schildert sie. Eine Symbolik, die natürlich auch Quisling und allen anderen Kollaborateuren bekannt war.
Das machte die Sache für die Faschisten so brisant – und für die Hersteller der Mützen so gefährlich. Politischer Widerstand in Reinform, wenn man so will. Nur eben mit der Stricknadel und nicht mit der Pistole in der Hand.
Ursprünglich richtete sich die rote Mütze in Norwegen übrigens gegen die Vereinigung mit Schweden, die von 1814 bis 1905 Bestand hatte. Umso bitterer, dass das Symbol nur wenige Jahre später in einem völlig neuen, unvergleichlich düsteren Kontext erneut „in Mode“ geriet.
Immerhin: Die Geschichte ging für Quisling, den Möchtegern-Verhinderer der roten Mützen, gleich in doppelter Hinsicht übel aus. Er wurde kurz nach dem Krieg wegen Hochverrats angeklagt und zum Tode verurteilt. Hingerichtet am 24. Oktober 1945.
Darüber hinaus wurde der Name Quisling schon zu Lebzeiten und auch posthum in mehreren europäischen Sprachen zum Synonym für einen Kollaborateur und Vaterlandsverräter. Die Times hatte den Begriff „Quisling“ 1940 erstmals in diesem Kontext verwendet. Das ist sein Platz in der Geschichte.