Es gab eine knappe Mehrheit für die EU-Mitgliedschaft
Warum ist Norwegen nicht in der EU?
Norwegen hatte mehrere Gelegenheiten, der EU beizutreten, und doch ist das Land bis heute kein Mitglied der EU. Wir werfen einen Blick auf die Beziehungen zwischen Norwegen und der Europäischen Union und schauen, warum das skandinavische Land sich gegen einen Beitritt zur Union entschieden hat.
- Norwegen und die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG)
- 1. Referendum (1972)
- 2. Referendum – Warum ist Norwegen nicht der EU beigetreten?
- Nachteile einer EWR-Mitgliedschaft gegenüber einer EU-Mitgliedschaft
- Könnte Norwegen in Zukunft der EU beitreten?
- Fazit: Warum ist Norwegen nicht in der EU?
- Nachtrag: Was wäre nötig, damit Norwegen der EU beiträte?
Norwegen und die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG)
Die EU ist nicht an einem bestimmten Datum entstanden, sondern war das Ergebnis eines europäischen Intergrationsprozesses. Die Anfänge gehen bis in die 50er Jahre zurück.
Am 18. April 1951 wurde die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS, umgangssprachlich Montanunion) von Belgien, der Bundesrepublik Deutschland, Frankreich, Italien, Luxemburg und den Niederlanden gegründet. Die Institutionen dieser EGKS bildeten das Herzstück der späteren EWG und schließlich der EU.
Etwa soweit müssen wir auch mit Norwegen in der Geschichte zurückgehen.
In den vergangenen fast 70 Jahren hat Norwegen mehrmals mit dem Gedanken gespielt, Mitglied der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) oder der Europäischen Union (EU) zu werden. Dies ist jedoch jedes Mal auf entschiedenen inneren Widerstand gestoßen.
Die Beziehungen des Landes zur EWG reichen bis in die 60er Jahre zurück, wo die Anträge auf Beitritt zur Wirtschaftsgemeinschaft nur widerwillig gestellt wurden, so Lise Rye, Professorin für zeitgenössische europäische Geschichte an der Norwegischen Universität für Wissenschaft und Technologie (NTNU).
Außerdem ist sie Autorin des Buches „Norge i Europa“ („Norwegen in Europa“). Das Buch vermittelt neue Erkenntnisse über die Gründung des EWR, die norwegisch-europäische Debatte, die EFTA, die EU-Politik gegenüber Drittstaaten und das Verhältnis von wirtschaftlicher und politischer Integration. Und nicht zuletzt wird darin die Frage beantwortet, wie wurde das Land Norwegen zum am stärksten integrierten Nichtmitglied der EU?
„Norwegen begann als zögerlicher Europäer in dem Sinne, dass es die Mitgliedschaft in der EWG in den 1960er Jahren nur beantragte, weil Großbritannien es tat. Ich habe nie Beweise dafür gesehen, dass Norwegen von sich aus an die EWG herangetreten wäre“, erklärte die Professorin gegenüber dem Magazin The Local Norway.
Die norwegische Regierung beantragte in den 60er Jahren zweimal die Mitgliedschaft. Beide Anträge führten letztlich zu nichts. Beide Male wurden die Verhandlungen unterbrochen, als der französische Präsident Charles De Gaulle sein Veto gegen den Beitrittsantrag des Vereinigten Königreichs einlegte.
1. Referendum
1972 erhielt Norwegen eine weitere Chance, der EU beizutreten, diesmal allerdings in Form eines Referendums. Eine Mehrheit von 53,5 Prozent stimmte gegen den Beitritt.
Lise Rye zufolge ist dieses Ergebnis deshalb so bedeutsam, weil Norwegen damals noch keine großen Ölvorkommen in der Nordsee entdeckt hatte, so dass es sich eher um eine kulturelle oder ideologische Ablehnung handelte, verglichen mit dem Ergebnis des zweiten Referendums zwei Jahrzehnte später.
Im Laufe der Jahre blieb das Land in der Frage, ob es Europa beitreten sollte, gespalten, wenn auch mit einer knappen „Nein“-Mehrheit. Rye merkte jedoch an, dass es Anfang der 2000er Jahre eine knappe Mehrheit für die EU-Mitgliedschaft gab, als die Zinsen in Norwegen hoch waren.
„Die EU-Mitgliedschaft war in Norwegen immer umstritten und ist eine Frage, die die Bevölkerung in zwei fast gleich große Teile gespalten hat“, sagte Rye über die öffentliche Wahrnehmung der EU im Laufe der Jahre.
2. Referendum – Warum ist Norwegen nicht der EU beigetreten?
1992 unterzeichnete Norwegen das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum, entschied sich aber zwei Jahre später nach einem weiteren Referendum gegen eine Vollmitgliedschaft in der EU.
Zum Zeitpunkt des zweiten Referendums hatte Norwegen riesige Ölvorkommen in der Nordsee entdeckt, die das Land zu einer der reichsten Nationen der Welt machten, so dass es sich leisten konnte, außerhalb der EU zu bleiben.
Ein weiterer Grund, warum sich das Land für die EWR-Mitgliedschaft entschied, aber die Chance auf einen EU-Beitritt ausschlug, war die Möglichkeit, Zugang zum EU-Binnenmarkt zu erhalten, ohne an Verpflichtungen einer vollen EU-Mitgliedschaft gebunden zu sein.
„Das EWR-Abkommen erschien als eine Option, die es Norwegen ermöglichen würde, freien und gleichberechtigten Zugang zum EU-Binnenmarkt zu erhalten, ohne Teile seiner Souveränität an die EU abtreten zu müssen“, erklärte Rye.
Rye fügte hinzu, dass der EWR den norwegischen Unternehmen Vorteile gebracht habe, da er ihnen Vorhersehbarkeit biete. Außerdem gewährte das Abkommen den norwegischen Bürgern Freizügigkeit im gesamten EWR. Der Hauptvorteil der EWR-Mitgliedschaft könnte jedoch darin liegen, dass sie einen Kompromiss darstellt.
„Der größte Vorteil ist vielleicht, dass das EWR-Abkommen als Kompromisslösung sowohl die Gegner als auch die Befürworter einer Vollmitgliedschaft relativ zufrieden oder gleichermaßen unzufrieden gestellt hat“, so Rye.
Nachteile einer EWR-Mitgliedschaft gegenüber einer EU-Mitgliedschaft
Allerdings hat das EWR-Abkommen auch einige Nachteile mit sich gebracht.
„Der größte Nachteil des EWR-Abkommens ist, dass es zwar formal gesehen die norwegische Souveränität gegenüber der EU aufrechterhält, in der Realität aber auf eine Weise funktioniert, die der norwegischen Demokratie schadet. Wir haben keinen Sitz am Tisch, an dem die EWR-Gesetzgebung verabschiedet wird. Wir haben nicht die gleichen Möglichkeiten, die Entscheidungsträger zur Rechenschaft zu ziehen wie die Bürger der EU-Mitgliedstaaten“, erklärte Rye.
Könnte Norwegen in Zukunft der EU beitreten?
Obwohl Norwegen zweimal die Chance auf einen EU-Beitritt abgelehnt hat, besteht zwischen Norwegen und der EU eine enge Beziehung.
Die EU ist einer der wichtigsten Handelspartner Norwegens, und Norwegen ist der achtgrößte Handelspartner der EU. Das nordische Land nimmt auch an vielen europäischen Programmen teil, wie Europol und der Europäischen Verteidigungsagentur (dt. EVA, engl. EDA).
Diese Beziehungen könnten noch enger werden, so Rye.
„Ich glaube, dass die derzeitige Situation, in der die Länder dem internationalen Recht den Rücken kehren und der Wettbewerb zwischen den großen Akteuren immer härter wird, zu einer noch engeren Beziehung zwischen Norwegen und der EU führen wird“, sagte sie.
Die Enge dieser Beziehungen wird jedoch von einigen kritisiert.
„Norwegens Beziehungen zur EU sind viel umfassender geworden, als man sich das 1992 vorstellen konnte. Heute sind viele Norweger der Meinung, und ich glaube, mit gutem Grund, dass die Zusammenarbeit Norwegens mit der EU über das Mandat hinausgeht, das das Parlament 1992 erteilt hat“, so die Professorin.
Auch Rune Bjåstad, Ministerberater für Kultur und Kommunikation an der Königlich Norwegischen Botschaft in Paris, teilt diese Meinung, die er beim „U talk“ des Nachrichtensenders Euronews im Jahre 2013 äußerte.
„Wirtschaftlich sind wir durch das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum, den so genannten EWR, mit anderen Mitgliedstaaten gleichgestellt. Seit 1994 ist Norwegen vollständig am Binnenmarkt beteiligt“, so Rune Bjåstad.
„Wir nehmen an mehreren EU-Programmen teil, z. B. am Forschungsprogramm. Norwegische Studenten nehmen auch am Erasmus-Programm teil. Wir leisten einen finanziellen Beitrag zu diesem Programm.“
Trotz der Wahrscheinlichkeit, dass sich die Beziehungen zwischen Norwegen und der EU intensivieren werden, scheint es dennoch unwahrscheinlich, dass Norwegen in Zukunft ein vollwertiges Mitglied wird.
Fazit: Warum ist Norwegen nicht in der EU?
Um die Frage danach, warum Norwegen kein Mitglied der Europäischen Union ist, zusammenfassend zu beantworten, lässt sich Rune Bjåstad hervorragend zitieren:
„Der Grund dafür ist ganz einfach: Das norwegische Volk hat in Volksabstimmungen zweimal ‚Nein‘ gesagt, jedes Mal mit einer knappen Mehrheit.“
Die Argumente für ein ‚Nein‘ waren, dass die Mitgliedschaft eine Bedrohung für die Souveränität Norwegens sei, dass die Fischereiindustrie und die Landwirtschaft darunter leiden würden, dass die Mitgliedschaft zu einer stärkeren Zentralisierung führen würde und dass es weniger günstige Bedingungen für die Gleichberechtigung und den Sozialstaat geben würde, so Bjåstad weiter.
„Die Fischerei ist für die norwegische Wirtschaft, insbesondere für die Küstenregionen, von großer Bedeutung. Sie ist nach dem Erdöl der zweitgrößte Industriezweig unseres Landes.“
„Die norwegische Wirtschaft ist stark, die Arbeitslosigkeit ist niedrig. Die Norweger sehen daher kein wirtschaftliches Argument für eine EU-Mitgliedschaft.“
Wohlgemerkt: Beim Nein des ersten Referendums, 1972, war noch unklar, wie groß der Wirtschaftsfaktor Ölindustrie werden würde. Zwar wurde das erste Ölfeld Norwegens bereits am 25. Oktober 1969 entdeckt, etwa drei Jahre vor dem Referendum, doch war damals durchaus unklar, wie groß die Vorkommen sind und wie weit Öl und Gas Norwegen tragen konnten.
Damals wog also das Argument des angeblichen Verlustes der staatlichen Souveränität mehr als der Gedanke einer wirstchaftlichen Überlegenheit, die eine EU-Mitgliedschaft überflüssig machte.
Erst beim zweiten Referendum war man sich der Größe der Erdölvorkommen voll bewusst, und lehnte eine Vollmitgliedschaft in der EU überwiegend mit dem Argument der eigenen wirtschaftlichen Stärke ab.
Nachtrag: Was wäre nötig, damit Norwegen der EU beiträte?
Auf die Frage, was nötig wäre, damit Norwegen der EU beitritt, sagt Lise Rye: „Eine Krise.“
Damit meint sie eine gesellschaftliche Krise im Allgemeinen und eine wirtschaftliche und/oder politische Krise im Besonderen.