Das Bild der „Mutter der Nation“
Warum rechtsextreme Parteien immer häufiger von Frauen geführt werden
Eine wachsende Zahl rechtsextremer Parteien in Europa wird von Frauen geführt. Gleichzeitig haben diese Parteien nur wenige Frauen unter den Wählern, Mitgliedern und Mandatsträgern. Ein Widerspruch, der nicht zufällig ist, sagen Politikwissenschaftlerinnen aus Norwegen.
„Es ist ein Paradoxon“, sagt Ragnhild Louise Muriaas von der Universität Bergen. „Frauen führen diese Parteien – aber sie mobilisieren kaum andere Frauen.“
Gemeinsam mit ihrer Kollegin Jana Birke Belschner hat sie sich das Phänomen genauer angesehen. Ihr Fazit: Der Aufstieg von Frauen in der extremen Rechten folgt nicht dem Zeitgeist, sondern einer Strategie.
Denn viele dieser Parteien – von der AfD bis zu den Wahren Finnen – sind jung, weniger verkrustet, offener für Quereinsteiger. Frauen haben hier Chancen, weil es weniger Hierarchien gibt. Und sie sind nützlich: als Signal für Modernität, als Gegengewicht zum harten Image, als Lockmittel für weibliche Wähler.
„Wenn eine Partei als zu radikal gilt, kann eine Frau an der Spitze helfen, sie anschlussfähig zu machen“, sagt Belschner. Das Bild der „Mutter der Nation“ – fürsorglich, schützend, aber bestimmt – kommt dabei gelegen.
Frauen an der Spitze machen Parteien salonfähiger
Bei Marine Le Pen etwa wurde das familiäre Erbe inszeniert: Tochter des Alt-Extremisten, aber im neuen Gewand. Nationalismus mit weichgezeichneter Kante.
Doch ideologisch unterscheidet sich kaum eine dieser Frauen vom Rest ihrer Partei. Im Gegenteil: Sie sind oft genauso hart in der Rhetorik – nur mit einem anderen Tonfall. Und das macht sie erfolgreich.
In Nordeuropa zeigt sich der Trend ebenso: Pia Kjærsgaard in Dänemark, Siv Jensen und Sylvi Listhaug in Norwegen, Riikka Purra in Finnland. Allesamt Frauen, die an der Spitze rechter Bewegungen stehen oder standen – und das mit voller ideologischer Wucht.
„Die USA sind da anders“, sagt Muriaas. „Dort herrscht eher das Bild des männlichen Eroberers – nicht der schützenden Mutter.“ Auch wenn Figuren wie Marjorie Taylor Greene laut sind, bleibt die republikanische Führung männerdominiert.
In Europa dagegen zeigt sich: Wer mit harter Hand regieren will, greift nicht mehr nur zum starken Mann – sondern auch zur resoluten Frau. Mütterlich im Auftreten, radikal in der Politik. Ein neues Gesicht für alte Ideologien.
Nicht traditionelle Frauen auf der extremen Rechten
Viele weibliche Führungspersönlichkeiten auf der extremen Rechten betonen traditionelle Familienwerte – die sie den Forschern zufolge nicht unbedingt selbst leben.
Giorgia Meloni, eine ausgesprochene Verfechterin traditioneller Familienwerte, hat eine Tochter, war aber nie verheiratet. Ihre Beziehung mit dem Fernsehjournalisten Andrea Giambruno endete 2023, nachdem eine Reihe von sexistischen Äußerungen von ihm im Fernsehen ausgestrahlt wurden, wie die britische Zeitung The Guardian berichtet.
Marine Le Pen ihrerseits war zweimal verheiratet. Zunächst mit Franck Chauffroy, mit dem sie drei Kinder hatte, und dann mit Éric Lorio. Beide Ehen endeten mit einer Scheidung.
Immer mehr queere Rechtsextremisten
„Es ist interessant, dass es in rechtsextremen Parteien queere Menschen gibt, sowohl Männer als auch Frauen. Es sind zwar weniger als in anderen Parteien, aber sie sind da“, sagt Belschner.
Alice Weidel, die kürzlich in der Nettavisen als „lesbische Führerin“ bezeichnet wurde, lebt mit ihrer langjährigen Partnerin, der Filmemacherin Sarah Bossard, die als Kind aus Sri Lanka adoptiert wurde, in der Schweizer Kleinstadt Einsiedeln. Gemeinsam haben sie zwei Söhne, acht und zwölf Jahre alt.
Das Phänomen der „Homonationalismus“ wurde von der US-amerikanischen Queer-Theoretikerin Jasbir K. Puar in ihrem Buch Terrorist Assemblages: Homonationalism in Queer Times (2007) eingeführt. Es beschreibt, wie LGBTQ-Rechte genutzt werden können, um nationalistische Politik zu stärken.
Eines der bekanntesten Beispiele ist Pim Fortuyn, der offen homosexuelle niederländische Politiker, der 2002 die rechtspopulistische Partei Lijst Pim Fortuyn (LPF) gründete.
Fortuyn argumentierte, dass Frauen, Schwule und Lesben vor dem geschützt werden müssten, was er als homophobe und frauenfeindliche Einwanderer – insbesondere aus muslimischen Ländern – bezeichnete.
„Alice Weidel ist ein spezieller Fall. Auch wenn sie mit einer dunkelhäutigen Frau zusammenlebt, bedeutet das nicht, dass sie eine Politik der Inklusion vertritt“, betont Belschner.
Die Tatsache, dass ihre Partnerin Sarah Bossard Schweizerin ist und keine Einwanderin, könne zudem strategisch von Weidel und ihrer Partei genutzt werden, fügt sie hinzu.
„So kann es als Signal verwendet werden, dass die AfD nicht rassistisch sei, sondern nur migrationskritisch – nach dem Motto: ‚Seht her, ich habe nichts gegen dunkelhäutige Frauen, ich will nur keine muslimischen Männer hier.‘“
Minderheiten als rhetorische Ressource
Die Medienforscherin Kristin Skare Orgeret erklärt, dass der von der britischen Soziologin Sara R. Farris geprägte Begriff „Femonationalismus“ auf ähnlichen Mechanismen beruht wie der Homonationalismus. Sie glaubt, dass die Verteidigung von Minderheiten als rhetorische Ressource für weibliche Führungspersönlichkeiten der Rechten dienen kann.
„Rechtsextreme Parteien verwenden scheinbar feministische Rhetorik und Ideen als Teil einer rassistischen und fremdenfeindlichen Strategie“, erklärt Orgeret, die als Professorin am Fachbereich für Journalismus und Medienwissenschaften an der Oslo Met arbeitet.
„Manchmal führt dies zu widersprüchlichen Ergebnissen“, sagt Orgeret. Sie verweist auf die französische Bewegung La Manif Pour Tous, die zwischen 2012 und 2014 unter dem Banner eines „weißen, antimuslimischen Feminismus“ gegen die gleichgeschlechtliche Ehe kämpfte.
Auch Kristin Skare Orgeret beobachtet, dass mehr Frauen Führungspositionen in rechtsextremen Parteien übernommen haben.
„Während die soziale und wirtschaftliche Unsicherheit für Unruhe sorgt, neigen immer mehr Wählerinnen dazu, den Versprechen populistischer Parteien zu vertrauen. Vor allem, wenn sie von einer weiblichen Führungskraft gemacht werden.“
Sie stimmt mit Muriaas darin überein, dass weibliche Führungspersönlichkeiten einen starken symbolischen Wert haben. Sie können als Beschützerinnen westlicher Werte und als Mütter dargestellt werden – aber auch als „Außenseiterinnen“.
„In einigen Ländern kann die Tatsache, dass Frauen Führungspositionen innehaben, das Bild der extremen Rechten als politische Bewegung, die mit der etablierten Macht bricht, verstärken“, sagt Orgeret.
Sie verweist auf Giorgia Meloni: „Mehrere Kommentatoren haben ihre Fähigkeit, die Außenseiterrolle zu verkörpern, als einen der Hauptgründe für ihren Erfolg hervorgehoben.“
Macht eine Frau an der Spitze frauenfreundliche Politik?
Bleibt die Frage, ob Frauen in Spitzenpostionnen frauenfreundliche Politik machen. Macht allein die Tatsache, dass sie Frauen sind, ihre Politik automatisch frauenfreundlicher?
Um diese Frage zu beantworten, greifen Jana Belschner und Ragnhild Louise Muriaas auf theoretische Ansätze aus ihrem Lehrbuch Å studere kjønn og politikk zurück. Darin beziehen sie sich unter anderem auf die Politikwissenschaftlerin Hanna Pitkin, die drei Arten von Repräsentation unterscheidet.
Die erste ist die deskriptive Repräsentation – also schlicht „anwesend sein“:
„Weibliche Parteivorsitzende am rechten Rand erfüllen dieses Kriterium – sie sind da, sie sind sichtbar, und sie werden als weibliche Führungspersonen wahrgenommen“, erklärt Belschner.
Die zweite Form, die substanzielle Repräsentation, meint, tatsächlich die Interessen von Frauen zu vertreten.
„Und da wird es komplizierter – denn es hängt davon ab, wie wir ‚Fraueninteressen‘ definieren.“
Viele konservative Frauen vertreten laut Belschner andere Vorstellungen von Gleichstellung als etwa Frauen auf der linken Seite des politischen Spektrums. Zwar tendieren Frauen im Durchschnitt etwas stärker nach links als Männer, aber der Unterschied ist oft nicht gravierend.
Die dritte Kategorie ist die symbolische Repräsentation.
„Dabei geht es darum, was es aussagt, wenn Frauen Führungspositionen innehaben.“
„Wenn zum Beispiel eine Frau eine Partei anführt, signalisiert das, dass Frauen in der Partei willkommen sind – und das kann es für andere Frauen leichter machen, ihre Stimme dieser Partei zu geben.“
Quelle: kjonnsforskning.no