Nach jahrzehntelanger Suche
Schottland / Edinburgh: Rätsel um mittelalterliche Symbolsteine an alter Werkstatt-Wand gelöst
Eine bemerkenswerte Begebenheit mit archäologischem Bezug aus der schottischen Hauptstadt Edinburgh: Daren Frankish ist Besitzer eines Fachhandels für Rasenmäher und besitzt als solcher eine kleine Reparaturwerkstatt – mit einer ziemlich auffälligen Besonderheit.
Foto 1: Mysteriöse Relief-Steine im Inneren der Werkstatt. (Daren Frankish / BBC)
Foto 2: Relief-Steine im Außenbereich des Gebäudes. (Daren Frankish / BBC)
Foto 3: Die Kirche vor dem Abriss. (John Le Conte)
Foto 4: Der Neubau der Kirche (Chalmers Close) und das Pfarrhaus in der Jeffrey Street. (Stephencdickson / CC BY-SA 4.0)
Und zwar sind in die Rückwand des massiv gemauerten Raumes Relief-Steine eingearbeitet, die einen für Frankish lange Zeit nicht zuzuordnenden Bezug zur Geschichte Edinburghs haben. Ein Mysterium, das den Händler intensiv beschäftigt hat.
Zu sehen sind in der Werkstatt gleich mehrere Relief-Steine, die schon auf den ersten Blick den Eindruck erwecken, hier nicht wirklich hinzugehören. Im Außenbereich gibt es weitere Exemplare, die optisch ebenfalls unpassend in das recht alte Mauerwerk integriert sind.
„Ich habe 35 Jahre lang versucht, herauszufinden, was diese Symbole sind und woher sie stammen“, sagte Frankish vor wenigen Tagen in einem Interview. Zunächst habe er selbst versucht, in Büchern Informationen über die Steine zu finden. Fehlanzeige.
Also wandte er sich an Ordensleute, da er dachte, in den Symbolen einen kirchlichen Bezug erkannt zu haben. Auch hier: kein Hinweis, der ihn wirklich weitergebracht hätte. Also wandte sich Frankish irgendwann an die BBC in Scotland, um weitere Hilfe bei der Recherche zu suchen.
Und siehe da: Nach intensiven Nachforschungen gelang es Dr. Lizzie Swarbrick, einer Expertin für mittelalterliche Kunst und Architektur, das Gros der Relief-Steine eindeutig zuzuordnen. Sie stammen tatsächlich aus einer Kirche, jedoch nicht aus irgendeiner.
Aufregende Vorahnung, dass es sich um Puzzlesteine der Dreifaltigkeitskirche handeln könne
Swarbrick über den ungewöhnlichen Fall: „Als ich die Fotos dieser Steinschnitzereien sah, schlug mein Herz gleich höher.“ Denn sie hatte eine Ahnung, was es damit auf sich haben könnte. „Ich hielt sie gleich für Puzzlestücke aus der wundervollen Dreifaltigkeitskirche“, so die Expertin.
Genauer gesagt geht es um die Stiftskirche der Heiligen Dreifaltigkeit, die um das Jahr 1463 an einem ziemlich „wegweisenden“ Ort von Edinburgh errichtet worden war. Sie galt einst als eines der schönsten Gebäude im spätmittelalterlichen Schottland. Alte Gemälde bezeugen dies.
Errichtet wurde die Kirche für Königin Maria. Und zwar im Gedenken an ihren verstorbenen Gatten – König Jakob II. –, der bei der Inspektion einer neuen Artillerieanlage in Roxburgh Castle durch die Explosion einer Kanone auf ganz und gar unkönigliche Weise ums Leben gekommen war.
So tragisch sein Ende, so merkwürdig auch das Ende seiner Kirche: Denn die Collegiate Church of the Holy Trinity, wie sie im Englischen hieß, musste nach rund 200 Jahren einem anderen Bauwerk weichen. Sie wurde 1848 abgerissen, um Platz für Waverley-Station zu machen, den Hauptbahnhof in Edinburgh.
Beim Abriss der Kirche wurden alle Steine nummeriert und in einer großen Halde auf dem nahe gelegenen Calton Hill deponiert. Ziel war es, das wunderbare Gebäude an anderer Stelle wieder zu errichten.
Nur bekamen sich die Stadtverwaltung und die Kirchenleitung in Edinburgh über diesen Fall derart in die Haare, dass es mehr als 20 Jahre bis zu einer Einigung dauerte. Ein langer Zeitraum, in dem die durchnummerierten Steine der Kirche de facto sich selbst überlassen waren.
Und vor allem ein langer Zeitraum, in dem gutes Material auch für andere Bauvorhaben bestens zu gebrauchen war. Also „verschwanden“ bis zum Wiederaufbau der Kirche 1872 rund zwei Drittel der Steine, sodass es bei der neuen Dreifaltigkeitskirche nur für Apsis, Chor und Querschiffe reichte.
Schon kurios: Früher stand die Kirche auf Höhe von Gleis 1 in Waverley Station
An anderer Stelle, so auch in der heutigen Werkstatt von Daren Frankish, füllten die entwendeten Steine des Gotteshauses hingegen Baulücken, was dem Ganzen heute natürlich eine Menge historischen Charme verleiht.
„Es war wirklich besonders, das Rätsel lösen zu können“, sagte nun Expertin Swarbrick. „Zu wissen, dass einige der vermissten Teile in diese Wand integriert sind, ist schon sehr aufregend.“
Laut Swarbrick stand die Kirche im Original einst an der Stelle, an der sich heute Bahnsteig 1 des Bahnhofs Waverley befindet. Ihr Folgestandort ist seit Ende des 19. Jahrhunderts in der Jeffrey Street, mit Blick auf ihren ursprünglichen Platz.
Die Kirche ist laut BBC im Laufe der Jahre unterschiedlich genutzt worden, war dabei aber nur selten für die Öffentlichkeit zugänglich. „Viele Menschen, selbst Einwohner von Edinburgh, wissen nicht, dass die schönste spätmittelalterliche Kirche Schottlands nur eine Gasse von der Royal Mile entfernt liegt“, so Swarbrick.
Die Untersuchung ergab, dass die Blumenschnitzerei oben links in der Werkstatt (s. Bildergalerie Bild 1), die beiden Kleeblätter (Enden der Kirchgiebel) und die Oberseite von Tür oder Fenster ganz rechts im Bild eindeutig aus der Dreifaltigkeitskirche stammen.
Und der Inhaber der Werkstatt? „Die Vorstellung, dass die Steine mehr als 550 Jahre alt sind, hat mir echt den Atem geraubt“, sagt Frankish. „Die Geschichte über die Kirche, aus der sie stammen, ist hoch interessant. Und dass es den königlichen Bezug gibt, ist einfach unglaublich.“