Schottland kurz vor der Wahl
2-Stufen-Plan der Regierung: Erst Schluss machen mit Corona – und dann mit England
In politischen Kreisen heißt es ja immer: Diese Wahl wird die wichtigste sein. So war es bei Biden gegen Trump. Und so wird es im September nach 16 Jahren Merkel auch in Deutschland sein. Versprochen. Aber die Mutter aller Wahlen, dafür spricht vieles, findet in gut 48 Stunden in Schottland statt. Denn wenn am Donnerstag das schottische Wahlvolk an die Urnen tritt, wird es nicht nur um die innenpolitischen Geschicke des Landes gehen.
Nein, am Donnerstag geht es schlichtweg um das große Ganze – um den Fortbestand der Einheit im Vereinigten Königreich. Zwar nicht unmittelbar, aber auf Sicht, das ist allen Beteiligten klar.
Dafür spricht vor allem, dass Schottlands amtierende und sehr wahrscheinlich bleibende Regierungschefin Nicola Sturgeon seit Jahren mit viel Herzblut gegen London und die Einheit trommelt. Die Unabhängigkeit ist ihr Programm, dafür tritt sie an. Punkt.
Die Sache mit dem Brexit habe das Fass zwischen Schottland und England zum Überlaufen gebracht, lautet die mediale Schnellversion zu dieser Haltung, die Sturgeon in zuweilen genüsslicher Konfliktform auf offener Bühne kundtut – im Duett natürlich mit ihrem englischen Widersacher Boris Johnson. Die beiden mögen sich null.
Die Ausgangslage ist klar: Sie will die Unabhängigkeit, er die Einheit. Sie will in die EU, er wollte nur noch raus. Sie braucht für ihr Ziel ein starkes Wählermandat. Er hat als britisches Polit-Oberhaupt und Hüter der Einheit das letzte Wort – ist also de facto in der stärkeren Position.
Aber was heißt das schon in diesen aufgewühlten Zeiten, in denen sich in Großbritannien nahezu alles schüttelt und rührt? Corona hat die Insel heimgesucht wie kaum eine andere Region, erst recht in Europa. Und auch wirtschaftlich ist nach dem offiziellen Brexit-Beginn im Januar längst noch nicht alles im Fluss. Stabil ist anders, dafür muss man kein Fachmann sein.
Daher ist in der Bewertung auch nicht ganz eindeutig, ob man Sturgeons jüngste Planspiele für den Fall eines Wahlsieges als besonders besonnen oder aber besonders listig ansehen soll. Dem BBC-Radio gegenüber sagte sie jedenfalls, dass es „in diesem Moment nicht an der Zeit ist, ein Unabhängigkeitsreferendum vorschlagen“.
Sie sei zwar „ein lebenslanger Anhänger der Unabhängigkeit“, zitiert Reuters Sturgeon, „aber zuerst müssen wir unser Land durch diese Corona-Krise steuern“. Und ist Corona erst einmal geschafft, was Sturgeon freilich nicht gesagt hat, könnte das genau jene Kräfte freisetzen, die es für den entscheidenden Schritt in Richtung Referendum braucht.
Momentan ist es nämlich so, dass sich Sturgeon in puncto Unabhängigkeit nur der Unterstützung von etwa 50 Prozent aller Schotten gewiss sein kann. Das sagen klar die Umfragen. Da braucht es mehr, wissen sie und ihre Partei.
Voraussetzung für all das ist ein überzeugender Wahlsieg am Donnerstag. Kommt es so, dürfte Sturgeon trotz der ein oder anderen rhetorischen Nebelkerze in den letzten Wochen alles daransetzen, das eigentliche Wahlversprechen ihrer Partei in die Tat umzusetzen: ein neues Referendum bis Ende 2023. Komme, was wolle. Schottland hat die Wahl.
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