Reisebericht Edinburgh
Roadtrip durch Schottland II – Zu Gast in Edinburgh
Man darf das nicht unterschätzen. Zwar ist Edinburgh mit seiner halben Million Einwohner noch recht überschaubar, aber gerade im Zentrum, wo – zur Axt nochmal – irgendwo unser Hostel sein musste, litt der Verkehr an diesem Oktobernachmittag unter Chaosbefall. Für mich erschwerend noch die Sache mit dem Linksverkehr, dazu Einbahnstraßen, Umleitungen, Baustellen, Stau. Das volle Programm.
Nach gut einer Stunde hatten wir uns dem direkt am Fuße des Edinburgh Castle gelegenen Domizil soweit genähert, dass unsere Irrfahrt nicht mehr die großen Verkehrsachsen der Stadt mit einbezog, sondern nur noch ein paar kleinere Sträßchen in Old Town. Ab hier waren wir aus dem Gröbsten raus.
Gebucht hatten wir für zwei Nächte im Castle Rock Hostel, das sich auf Johnston Terrace befindet, einer erstaunlich wenig befahrenen Straße in der Altstadt. Im Inneren des Gebäudes machen schwere Ritterrüstungen und andere mittelalterliche Artefakte nicht nur dem Namen des Hauses, sondern auch der Nähe zum Castle alle Ehre. Genau genommen ist es nicht einmal ein Steinwurf, der das Hostel vom imposant davor aufragenden Berg der Burg trennt. Viel zentraler hätten wir uns nicht einquartieren können.
Abends kommt Edinburgh zur Ruhe – vielleicht die schönste Zeit
Da der Tag schon recht weit fortgeschritten war, verschoben wir unseren Tatendrang auf den nächsten Morgen und ließen uns an der Rezeption ein paar Tipps für nahe gelegene Restaurants geben. Gelandet sind wir schließlich bei einem der besten Inder zwischen Rheinland und Orkney. Es müsste das Gurkha auf der mit Bars und internationaler Küche prall gefüllten Cockburn Street gewesen sein.
Lecker, sehr zu empfehlen, wobei ich mir für den Rückweg nach einem reichlich gut gewürzten 3-Gänge-Menü und bestimmt anderthalb Litern Mango-Lassi fast schon wieder das Auto gewünscht hätte. Wir hatten nach der verkorksten Ankunft aber bewusst darauf verzichtet und waren den guten Kilometer zu Fuß gekommen.
Immerhin konnten wir so auf dem Rückweg noch ein paar Eindrücke aus dem abendlichen Edinburgh mitnehmen. Die Stadt war inzwischen spürbar zur Ruhe gekommen. Längst waren entlang der High Street nicht mehr die Menschenmassen vom Tage unterwegs, sondern eher kleine Grüppchen oder Paare wie wir, die es noch ein paar Schritte durch die bei Dunkelheit schon fast heimelig wirkende Altstadt zog. Ich kann sagen: Edinburgh am Abend, das hat Charme.
Zurück im Hostel, nahmen wir erstmals richtig Notiz von unserem im Obergeschoss gelegenen Doppelzimmer(chen): Matratze auf Sperrholz, kein Schrank, undichtes Fenster, Bad im Flur – viel mehr geht im Zentrum von Edinburgh für rund 50 Pfund pro Nacht nicht. Ein Wermutstropfen, aber angesichts ihrer Beliebtheit scheint es sich die Stadt schlichtweg leisten zu wollen, auch beim Preis oben mitzuspielen. Darin inbegriffen war immerhin der Name unseres Zimmers, Romeo & Juliet.
Straßenzüge wie gemalt – lebendige schottische Kultur
Tag zwei unserer Schottlandreise begann gegen 9.00 Uhr mit etwas Brot, Käse und Obst aus dem Rucksack. Das musste erstmal reichen. Da die Erkältung meiner Freundin über Nacht etwas schlimmer geworden war, beschloss ich, mich zunächst alleine auf den Weg in die Stadt zu machen.
Das Wetter war für schottische Verhältnisse kaiserlich, weshalb es auch an diesem Tag Heerscharen von Menschen auf die Straßen von Edinburgh gezogen hatte. Ich wollte mir einen Überblick verschaffen und ging dafür die vom Castle in Richtung Parlament leicht abfallende High Street runter. Begleitet von schottischem Dudelsackspiel, schlenderte ich ein wenig ziellos die Prachtmeile der Stadt hinunter.
Da ich über keine ausgewiesenen Architekturkenntnisse verfüge, möchte ich die Gebäude links und rechts der Straße der Einfachheit halber – und um nichts falsch zu machen – als „simply“ sehenswert bezeichnen. Gerade im oberen Bereich der später in die Royal Mile übergehenden High Street ist alles alt (oder auf alt gemacht).
Zeitgenössische Architektur wäre hier, im vor Historie und Pomp nur so strotzenden Zentrum der Stadt, unangemessen. Toll fand ich auch die Anordnung der Gebäude selbst: Oben meist vier oder fünf Stockwerke in massivem, leicht angegrautem Stein – dagegen unten, auf Höhe der Straße, zum Teil kunterbunt angestrichene Läden mit Blumengebinden und großen Schaufenstern.
Ist Edinburgh touristisch? Durch und durch. Geht es einem schon nach kurzer Zeit auf den Keks? Definitiv nein, kann ich jedenfalls für mich beantworten, weil sich Edinburgh bei allem Kommerz einen guten Schuss Charme und Ursprung erhalten konnte – eingebunden in eine fast surreal schöne Kulisse.
Die Schotten machen ihr eigenes Ding. Heißt: Es gibt traditionelle Kilt-Shops oder Whisky-Läden, wo bei uns in Deutschland mit Sicherheit H&M oder Pizza-Hut ansässig wären. Burger King gefällig? Findet sich in Edinburgh im Bahnhof, wo die Kette hingehört. Aus aktuellem Anlass fällt mir ein unterschwelliges „Scotland first“ ein, wo ich diese Zeilen schreibe. Und im Gegensatz zum neuen großen Bruder aus Übersee kann ich hieran null-komma-nichts Anmaßendes, nichts Einschüchterndes erkennen. Macht bitte weiter euer Ding, ihr Schotten!
Eindrucksvoller 360-Grad-Blick auf der North Bridge
Um mir ein wenig Weitläufigkeit zu gönnen, bin ich vor meinem Rückweg ins Hostel noch ein gutes Stück die North Bridge runter gelaufen. Von der Mitte der vielleicht 250 Meter langen Brücke aus hat man einen wunderbaren Rundumblick auf große Teile des Zentrums. Und als geradezu phantastisch würde ich den Eindruck bezeichnen, den von hier aus die Altstadtfront mit ihren Prachtbauten vermittelt.
Den weit weniger ansehnlichen Bahnverkehr hat man in Edinburgh dagegen sprichwörtlich in den Keller verbannt. Denn Waverley Station, der Hauptbahnhof, befindet sich unterhalb der Brücke in einem Graben sozusagen, der Altstadt und Neustadt trennt. Die Lösung mit dem auf voller Länge überdachten Bahnhof wirkt im ersten Moment speziell, hat aber was. Wahrscheinlich wurde hier aus dem vorhandenen Platzangebot einfach nur das Beste rausgeholt.
Auch das ist Schottland: Marsriegel im Fischkostüm
Dann wollte ich meiner angeschlagenen Freundin eine Freude bereiten. Von Bekannten und aus dem Internet hatte ich im Vorfeld unserer Reise erfahren, dass Edinburgh für eine kleine kulinarische Perversion bekannt ist: den Deep-fried Mars Bar. Hierbei handelt es sich, in Friedenszeiten kaum vorstellbar, um einen in Fish-and-Chips-Fett frittierten Marsriegel, der dann – umgeben von knuspriger Panade mit leichtem Fischgeschmack – klebrig und heiß genossen werden kann. Gegen Erkältung genau das Richtige, dachte ich.
Eine gute Viertelstunde später war klar, dass ich das Mitbringsel selbst würde essen müssen. Denn meine Freundin, noch dazu Vegetarierin, hatte für den inzwischen noch stärker nach Fisch riechenden Klumpen nur etwas in Richtung „Willst du mich umbringen?“ übrig. Da ich selbst ein durchaus pragmatisches Verhältnis zu Essbarem pflege, habe ich mir das Ding reingezogen, wobei ich es an dieser Stelle bewusst nicht bewerten möchte. Mein Standpunkt: Man muss es einfach mal erlebt haben.
Das weitaus größere Ärgernis des Tages klebte an unserer Windschutzscheibe, ein sündhaft teures Knöllchen – 30 Pfund für Falschparken. Mir war es schon am Vortag komisch vorgekommen, dass bei uns in der Straße kaum Autos parkten. Hinweise auf entsprechende Verbote oder Einschränkungen fanden sich in der Nähe allerdings nicht. Außerdem meine Müdigkeit nach der langen und zum Schluss sehr intensiven Fahrt, weshalb uns etwaige Konsequenzen im Moment der Ankunft wahrscheinlich egal gewesen waren.
Nun, da ich das Papier mit dem Aufdruck „Penalty Charge Service“ in Händen hielt, war es das nicht mehr. Wie zum Applaus löste sich in diesen Minuten vom Castle aus noch ein gewaltiger Kanonenschuss. Denn es war 13.00 Uhr und damit Zeit für den täglichen Salut. Unsere Karre, soviel war klar, musste dringend raus aus der City, was wir nach kurzem Infoaustausch im Hostel mit einer Sightseeing-Tour im Bus verbinden wollten.
Sightseeing im Bus und Calton Hill als Hort der Ruhe
Ein weiterer Vorteil an Edinburgh ist, dass die roten Doppeldecker ihre Standardrouten den ganzen Tag über abfahren. Es gibt feststehende Haltepunkte, wo man gegen entsprechendes Entgelt nach Lust und Laune zu- oder aussteigen kann. Also fuhren wir den Wagen zunächst raus auf einen kostenfreien Parkplatz am Duke’s Walk, gingen ein paar Meter zur Bushaltestelle und sprangen auf für eine gut dreiviertelstündige Tour durch die Stadt mit Ausstieg in absoluter Hostel-Nähe. Perfekt!
Dennoch die Frage: Lohnt sich eine Bustour zu zweit zum Preis von 24 Pfund auch, wenn man sie nicht taktisch einsetzt? Ja, meine ich, weil es viele Meter spart, die man in Edinburgh sonst zu Fuß zurücklegen müsste. Außerdem war der Audio-Guide in Ordnung. Das passt schon. Am späten Nachmittag sind wir dann noch ein wenig über Calton Hill geschlendert, einen angenehm ruhigen Grünbereich von Edinburgh, der vom Castle aus schnell erreicht ist. Von der Anhöhe aus hat man einen tollen Blick auf die Stadt und das Umland.
Zugleich war es das beschaulich-schöne Ende unseres Aufenthaltes in der schottischen Hauptstadt. Denn schon am nächsten Morgen ging es weiter in Richtung Isle of Skye. Grundsätzlich bin ich der Meinung, dass anderthalb, zwei Tage durchaus reichen können, um Edinburgh zu erkunden. Auch, weil wir nicht zu den großen Freunden von Museen gehören, was die Sache zeitlich enorm verschlankt. Was uns dadurch entgangen ist, kann ich leider nicht bemessen. Wahrscheinlich einiges, sagt mir mein Gefühl.
sh
Lesen Sie die anderen Teile des Reiseberichts
Teil 1 unserer Schottland-Reise-Serie
Teil 2 unserer kleinen Schottland-Serie dreht sich um das großartige Edinburgh und die nicht minder reizvolle Weiterfahrt in Richtung Isle of Skye.
Teil 3 gehört einzig und alleine Isle of Skye. Drei tolle Tage auf der Insel – und trotzdem längst nicht alles gesehen.
Teil 4 widmet sich dem einzig wahren Highlander-Schloss, Whisky-Hochburgen, Dunnottar-Castle und einem Tal, das großartiger nicht sein könnte. Ach ja, und die Sintflut war auch noch am Start.