„Eine seltsame Angewohnheit“
Ivanhoe, eine schwedische Tradition am Neujahrstag
Ich vielen Ländern fungiert zu bestimmten Anlässen das Fernsehen als Traditionsträger. In Deutschland vergeht kein Weihnachten ohne „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“, „Dinner for one“ wird an jedem Silvesterabend serviert.
Auch viele schwedische Feiertagstraditionen drehen sich ums Fernsehen, und eine der rätselhaftesten findet am Nachmittag des 1. Januar statt. Was hat es mit der Verfilmung von Ivanhoe auf sich, dass die Leute Jahr für Jahr einschalten?
Am Neujahrstag machen es sich Familien im ganzen Land mit einer Pizza oder den Resten vom Silvesteressen gemütlich und sehen sich die Verfilmung von Sir Walter Scotts Ivanhoe aus dem Jahr 1982 an. Für alle, die die Geschichte nicht kennen: Es geht um einen Ritter, der nach den Kreuzzügen nach England zurückkehrt.
Der öffentlich-rechtliche Sender SVT kaufte 1982 die Rechte an der Verfilmung, die zuvor in einer Fassung von 1952 gezeigt wurde. In den letzten Jahren ist Ivanhoe auf den Privatsender TV3 umgezogen.
Der Film ist in Schweden ein großes Ereignis, zum Erstaunen vieler Schwedenneulinge und sogar eines der Stars des Films.
Sam Neill, der den Bösewicht Brian de Bois-Guilbert spielt, wird alljährlich auf Twitter von schwedischen User:innen darauf hingewiesen, dass er gerade im Fernsehen geschaut werde. Dabei wird Sam Neills Twitter-Handle @TwoPaddocks ungeniert benutzt, damit der Schauspieler, der selbst gerne twittert, es ja auch mitbekommt. Man könnte diese Flut an Tweets dazu schon als ein Neujahrstraditions-Spin-Off einer Neujahrstradition bezeichnen.
Im Jahr 2017 sagte Neill gegenüber dem Aftonbladet, die schwedische Liebe zu Ivanhoe sei „eine seltsame Angewohnheit“ und „das Bizarrste, was ich je gehört habe“.
Was ist es also, das die Schweden an dem Film mögen?
Zum Teil ist es einfach Tradition; vielleicht hätte es genauso gut jede andere Geschichte sein können, die an jedem Neujahrstag immer wieder erzählt wird. Und es erleichtert die Sache, dass jeder genau weiß, was in den nächsten zweieinhalb Stunden passieren wird, so dass sich Familie und Freunde noch unterhalten können, während der Film im Hintergrund läuft. Mit action-geladenen Kampfszenen und einer Dreiecksbeziehung bietet das Drama reichlich Gesprächsstoff.
Allerdings ist Ivanhoe nicht ganz so populär wie Kalle Anka (Donald Duck), der an Weihnachten von halb Schweden gesehen wird. Bei der traditionellen Stunde mit Disney-Zeichentrickfilmen, die an Heiligabend um 15 Uhr gezeigt wird, schalten hunderttausende Zuschauer:innen ein.
Um mit den Worten von Sam Neill bei Aftonbladet zu schließen:
„Gott segne Sie, dass Sie sich immer noch für diesen Film interessieren. Ich war noch nie in Schweden. Aber irgendwann wird mich jemand einladen und wir werden eine große ‚Ivanhoe‘-Feier veranstalten.“
ap